Diese Zukunft, von der alle immer sprechen

[Redebeitrag zum Feministischen Kampftag, daher relativ viele Ausrufezeichen]

Hallo, ich würde gerne mit euch über die Zukunft sprechen. Wir haben das Jahr 2020 und eigentlich habe ich immer gedacht: 2020 – das wird das Jahr sein, in dem endlich diese Zukunft beginnt. Das wird das Jahr sein, in dem wir uns die Jetpacks auf den Rücken schnallen und in den Sonnenuntergang fliegen. Einfach, weil es geht. Weil wir Zeit haben, weil keiner von uns arbeiten muss, weil wir selber bestimmen, was mit unseren Körpern passiert. Welche kleinen Raketentriebwerke wir auf unseren Rücken schnallen und wohin wir damit fliegen. Weil endlich alles gut ist. Und wie ist es in echt? Es ist 2020 und alles, was wir haben, sind E-Scooter und Nazis im Bundestag. Und 25% Rabatt bei Vero Moda zum Weltfrauentag. Danke. So habe ich mir diese Zukunft nicht vorgestellt! 

Aber wir haben ja auch erst März und ich will ein bisschen diplomatisch sein. Ich habe keine Ahnung, wie viel Gegenwart vergangen sein muss, bis wir sie Zukunft nennen dürfen. Wir sind uns hier vermutlich einig, dass wir eine feministische Gegenwart wollen und wir wissen genau, wie diese Gegenwart eigentlich aussehen sollte. Aber wie ist es mit der feministischen Zukunft? Mit Zukunft meine ich auf jeden Fall etwas mit Jetpacks und Robotern. Ohne fancy futuremäßige Technik bin ich raus, sorry! Ich weiß ja, dass es ein bisschen dauert, so etwas zu entwickeln. Und wir haben erst noch andere wichtige Dinge zu tun. Den Kapitalismus und das Patriarchat abschaffen zum Beispiel. Aber weil wir damit ja irgendwann fertig sein werden, habe ich ein paar ganz bescheidene Forderungen für das Jahr 2030. Das sind jetzt noch zehn Jahre, in diesen zehn Jahren möge sich doch bitte die richtige Zukunft einstellen und direkt das gute Leben mitbringen! In dieser Zukunft möchte ich ALLEIN Urlaub auf dem Mond machen können, ohne dass jemand sagt „Woah, als Frau, alleine, super gefährlich! Mach das lieber nicht!“ Und ich will dann auch nichts hören von wegen „Na, der Raumanzug ist ja auch ganz schön sexy, und was machst du überhaupt um die Zeit allein in diesem dunklen Mondkrater?“ – obwohl ich weiß, dass das nicht passieren wird. Denn Weltraumtouris wissen, dass unsere Körper uns allein gehören und behandeln alle Menschen mit Respekt!

Das zweite wichtige Thema: Arbeit! Im Jahr 2030 gibt es keine ungerecht verteilte Care-Arbeit mehr, weil ALLE gemeinsam darauf achten, dass der Akku vom Haushaltsroboter immer aufgeladen ist. Diese Roboter erledigen alle Aufgaben, auf die sonst niemand Bock hat. Die Freiheit, in Prokrastinationsphasen unsere Socken selber zu bügeln, haben wir natürlich alle! Prokrastination werden wir nicht abschaffen können. Wir sind ja immer noch Menschen.

Es mag euch vielleicht ein bisschen kurz gedacht vorkommen, wenn ich im Jahr 2030 einfach alle uncoolen Aufgaben an Roboter delegieren will, anstatt dann endlich auch mal die cis Männer in die Pflicht zu nehmen. Die könnten sich – kleine Faustregel, ich nenne sie den Robo-Test – aber einfach jetzt schon fragen: Wie viele Aufgaben habe ich, die mir eine Maschine abnehmen könnte? Wie viele Aufgaben davon erledigt ein anderer Mensch für mich? Und solange wir, die wir nicht männlich, weiß, hetero, cis, gebildet, reich oder sonst wie privilegiert sind, für alles, was wir brauchen – Geld, Essen, Sicherheit, Aufmerksamkeit, einen Job, der uns nicht völlig kaputt macht – , dreimal so hart arbeiten müssen, solange wir uns faulenzen schlicht nicht leisten können, solange WIR eigentlich Roboter sein müssten, um das alles zu ertragen – so lange kann ich mir nichts anderes wünschen als eine Zukunft, in der ICH keine Maschine sein muss. Ich will lieber Maschinen benutzen. Echte Maschinen aus Metall! Mit Knöpfen! Oder kleine Maschinen mit glatten Oberflächen, die mit mir sprechen können. Die mit mir sprechen wie mit einem Menschen und nicht wie mit einer Abweichung vom default user, der immer nur männlich und weiß ist. Die so programmiert sind, dass sie uns allen etwas nützen, die keine Barrieren haben, die wir erst abbauen müssten. Die keine heterosexistische, weiße Matrix haben, die wir erst hacken müssten. Das einzige, was hier binär sein darf, ist der Code. Ich will genau das alles, und zwar als Plug&Play und ich will nicht erst irgendwelche Treiber installieren!

Und wo wir schon bei Maschinen sind: Ich will, dass mein Uterus endlich als die krasse Maschine betrachtet wird, die er ist! Ich will, dass alles erforscht ist, was er kann. Einmal derselbe Forschungs- und Investitionsaufwand wie in der Automobilindustrie oder in der Luft- und Raumfahrttechnik, das wäre doch etwas. Dann könnte ich über meine Menstruation sprechen wie über einen Ölwechsel oder einen Kolbenfresser. Dann wird sich hoffentlich auch endlich herumsprechen, dass die Gebärmutter zwar genauso komplex verdrahtet ist wie der Bordcomputer von einem handelsüblichen Raumschiff, aber nie, nie, nie etwas über meine Identität aussagen wird.

Ich weiß, es ist seltsam paradox, selber keine Maschine sein zu wollen, aber dann zu verlangen, dass über bestimmte Körperteile so präzise gesprochen wird wie über Maschinen. Aber das ist vielleicht mein wichtigstes Anliegen für die Zukunft: Ich will im wilden Widerspruch leben können und zwar genau da, wo aus dem TROTZDEM ein GLEICHZEITIG wird und es gut so ist. Ich will sexy Weltraumanzüge tragen und gleichzeitig als Person gesehen werden und mich durch alle Galaxien bewegen, ohne vielleicht in Gefahr zu sein. Ich will die gläserne Decke der NASA zerschlagen sehen und gleichzeitig ausschlafen können. Der Sky soll überhaupt kein Limit sein, für niemanden! Und ich will ein Universum, in dem wir alle ohne Angst verschieden sein können. 2020 hat dieses Versprechen noch nicht eingelöst. Von 2030, von dieser echten Zukunft, in der endlich alles gut ist, erwarte ich nicht mehr und nicht weniger als ein solidarisches Miteinander, das volle Selbstbestimmungsrecht über meinen Körper und endlich, endlich dieses verdammte Jetpack. 

6 Gedanken zu “Diese Zukunft, von der alle immer sprechen

    1. Ja, tatsächlich auf der Demo am Sonntag. Direkt vor dem Kieler Hauptbahnhof, was an dem Tag der einzige Ort in der Stadt war, wo sich überhaupt noch Nicht-Demonstrierende aufgehalten haben 😀

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      1. Ich fürchte in Echt auch, dass es eher 2050 wird, aber bei Fiktion+Maximalforderungsbonus kommt auf jeden Fall 2030 raus!

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