Pacific Northwest

„I hoped we could say something about the images of the story that are going to stick with us!“ Ungefähr so formuliert Alex, die Protagonistin aus der Serie MAID, ihren Vorschlag für positives, wertschätzendes Feedback nach einer Schreibübung in der Therapiegruppe. Von mir gab es in den letzten Wochen eigentlich keine richtige Story, weil ich mich endlich dem Verschlissenheitsgefühl ergeben und mit mir selber ausgemacht habe, dass ich nur noch dieses mysteriöse Projekt in Pinneberg beackern, DAS PROJEKT* fertig schreiben und ansonsten bis 2022 keinen Finger rühren werde. Dementsprechend (und weil ich für die Buchpremiere und Weihnachten recht streng mit Direktkontakten haushalten wollte) habe ich, nachdem die letzte Druckfahne korrigiert war, viel Zeit vor dem Fernseher verbracht. Habe mir dort in verantwortungslos enger Taktung zu Gemüte geführt: Die oben schon genannte Serie Maid, Manchester by the Sea und Midnight Mass. Die Bilder, die mich seitdem nicht mehr loslassen, setzen sich zusammen aus bewaldeten Küstenstreifen, grün-grau-grimmeligen (so hat meine Oma ihre Augenfarbe beschrieben) Steinstränden und dem Warten auf die Fähre, die erst in Stunden (oder auch gar nicht mehr) kommt. Obwohl sich in dieser nasskalten Landschaft das Grauen in tausend Gestalten tummelt (abusive relationships, brennende Häuser, schwierige bis zermürbende Familienverhältnisse, die berüchtigten Anderen, die die Hölle sind, Probleme, die sich eben nicht ganz einfach lösen lassen, ausbleibende Happy Endings, christliche Fundamentalist*innen, Vampire), sehne ich mich danach, mir irgendwo an der Küste Neuenglands den Arsch abzufrieren. Besser dort als in der grünkohlfarbenen Schrebergartenkolonie, in der ich jeden Tag vor Sonnenuntergang mit dem Hund spazieren gehe und die Leuchtreklame von Möbel Höffner verfluche, die sich hier aus jedem Blickwinkel in den Horizont schiebt.

Erst viel später nach meinem Streamingdienst-Ausflug nach Neuengland stelle ich fest: Ich war gar nicht nur dort. Manchester by the Sea spielt natürlich in Manchester-by-the-Sea in Massachusetts und wurde auch dort bzw. in zwei umliegenden Städten gedreht. Maid hingegen spielt in Washington State an der Westküste, was von Manchester by the Sea ungefähr 3000 km entfernt ist. Crockett Island, das wir aus Midnight Mass kennen, hat keine Koordinaten in der nichtfiktionalen Welt, wurde aber wie Maid in der Nähe von Vancouver gefilmt. Ich laufe also weiterhin durch die grünkohlfarbene Schrebergartenkolonie, wenn ich es schaffe, vor Einbruch der Dunkelheit die große Hunderunde zu machen, wünsche mich dabei aber eher in Richtung Pacific Northwest.

*streng genommen gibt es damit doch eine Story von mir, aber nicht über mich, weil: Der Text ist nicht autobiographisch, auch wenn das häufig vermutet wird (puh, guckt euch die Protagonistin doch an, DAS soll ich sein?!)

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