Urlaub im Speckgürtel (2)

[21.5.2020]

In der Lokalzeitung steht: „Cliquenbildung ist verboten“, also fallen die Bollerwagentouren sogenannter Väter in diesem Jahr aus (zumindest in Niedersachsen). Es ist also ein ruhiger Himmelfahrtstag in der Lüneburger Heide. Was trotzdem gefährlich ist: „Plopp machen“, also Steine ins Wasser werfen, sagt jedenfalls mein sehr kleiner Neffe. Was eigentlich viel gefährlicher ist: Die Wassertemperatur an dem Bach, an dem wir unsere Füße ins Wasser halten wollen. Die anderen Kinder am Bach kümmert das natürlich überhaupt nicht. Stürze ins Wasser werden einfach hingenommen, nasse Unterhemden absichtlich in den Matsch am Ufer geworfen. Die Eltern stehen resigniert am Rand des Geschehens und haben nichts mehr zu sagen außer „Wir wollen los!“, was ungehört zwischen den Baumwipfeln verhallt. Ich trage heute zum ersten mal im Jahr eine kurze Hose und lege den Grundstein für die sommerliche Dauerverdreckung meiner Füße.

Urlaub im Speckgürtel (1)

[19.5.2020]

Ich habe eine Woche Urlaub genommen, weil ich einen langen Text zu Ende schreiben will, und damit es sich wenigstens ein bisschen nach einer Mischung aus Urlaub und Schreibklausur anführt, habe ich eine der wenigen Fernreisemöglichkeiten in Anspruch genommen, die in diesen Zeiten unkompliziert funktionieren: Ich bin zu Besuch in meiner alten Heimat, die je nach Perspektive entweder im Speckgürtel von Hamburg oder in der Lüneburger Heide liegt. Die Reise hierher war fast ein bisschen gespenstisch: Bahnfahren mit genau drei weiteren Mitreisenden im Waggon, kriminellen Gefühlen beim sehr sehr kurzen Abnehmen des Mundschutzes zwecks Kaugummi-Entsorgung und einem Hamburger Hauptbahnhof, der um 18 Uhr so leer war wie sonst nur nach 23 Uhr. Es ist nun 12 Uhr Mittags und ich habe noch nicht eine sinnvolle Zeile geschrieben, dafür aber den Wikipedia-Artikel über den Ort gelesen, in dem ich nun bis Sonntag verweilen werde. Holm-Seppensen, wo ich gerade bin, wurde gegründet, nachdem sich Holm und Seppensen im Jahr 1901 nicht einigen konnten, wer den Bahnhof an der Heidebahnstrecke bekommen sollte. Den Kompromiss, einfach einen Bahnhof in der Mitte zu bauen, finde ich ziemlich fair. Allerdings frage ich mich, ob es den Holmer*innen und Seppenser*innen nie sauer aufgestoßen ist, dass sich Holm-Seppensen mittlerweile zu einer Mini-Metropole gemausert hat, während Holm und Seppensen wegen ihrer Bahnhofslosigkeit völlig unauffällige Dörfer geblieben sind, die man eigentlich gar nicht bemerkt, wenn man durch sie durchfährt. To be fair: Holm hat immerhin einen schönen alten Gutshof und die Hoheit über die Freiwillige Feuerwehr von Holm, Seppensen und Holm-Seppensen und in Seppensen gibt es einen Schmetterlingspark und ein kleines Freilichtmuseum. Das soll hier nicht unsichtbar bleiben!

Mein Leben als Aussteigerin

Corontäne (ist das ein schlimmes Wort oder kann ich das benutzen?) Tag 568828 und es ist irgendwie alles egal, weil ich seit letzte Woche Dienstag auf Eskapismuslevel 3000 bin, genauer gesagt auf der Dienstagsinsel, die ich so genannt habe, weil ich eben seit einem Dienstag dort lebe, es ist quasi meine Insel, ich bin Inselvorsteherin und habe eigens dafür gesorgt, dass das örtliche Museum schnellstmöglich aufgebaut werden konnte, sehr zur Freude von Eugen, dem Museumswärter, der viel komisches Zeug quatscht und eine arge Insektenphobie hat, aber eigentlich ziemlich in Ordnung ist. Auf dieser Insel lebe ich in einem Zelt, in dem sich ein Feldbett, ein Radio, eine Öllampe, ein Spiegel, zwei abgelegte Outfits und eine Nintendo Switch befinden. In meinem Vorgarten befinden sich eine Feuerstelle, ein Campingtisch, auf dem ein Plattenspieler steht, eine selbstgebaute Fackel und ein Gartenbett aus zwei überdimensionalen Muscheln und 5 Lehm. Daneben habe ich Papageientulpen gepflanzt, die ich täglich gieße. In meiner freien Zeit gehe ich angeln, Muscheln sammeln oder Unkraut pflücken und verkaufe das, was sich dabei ansammelt, an einen kleinen Waschbären. Bei einem anderen Waschbären stehe ich knietief im Dispo und zwar für den Flug zur Insel, das Zelt und das Grundstück, auf dem dieses Zelt steht plus Gebühren, 48.000 Geldeinheiten, ich weiß nicht, ob er mich abgezockt hat, aber ich habe zugestimmt, dass ich ihn auch mit Bonuspunkten aus einem obskuren Bonuspunktesystem ausbezahlen kann. Wann das passieren wird: vermutlich nie (das Nashorn und der Bär, die auch auf meiner Insel wohnen, haben längst auf Holzhütten umgesattelt). Das Geld, was ich von dem kleinen Waschbären für meinen aufgesammelten oder selbstgebauten Krempel bekomme, nimmt der große Waschbär nicht an. Stattdessen soll ich mir aus seinem Online-Shop mindestens zweimal am Tag irgendwelchen Krempel bestellen, damit ich Bonuspunkte bekomme und endlich meine Schulden abbezahlen kann. Ich bin kein Finanzprofi, aber DAS kommt selbst mir fishy vor. Aber immerhin: Ich bin viel an der frischen Luft, schlafe manchmal in einer Hängematte am Strand und esse viel frisches Obst (allerdings nur Äpfel). Es ist eigentlich ganz schön hier.