Stress in hässlichen Hosen

Jetzt bin ich also an dem Punkt, an dem ich nie sein wollte, weil z.B. Christian Kracht den seit 1995 besetzt hält: Mich plagt das Bedürfnis, mich abschätzig in Textform über die Kleidung von Menschen, die ich nicht kenne, zu äußern. Schon länger beobachte ich in mir eine Gefühlsregung, die mir nicht gut gefällt. Ich lebe im Dreieck zwischen einem Park, einer weiterführenden Schule und einer Partylocation, d.h. ich sehe eigentlich zu jeder Tag- und Nachtzeit Jugendliche auf der Straße. In letzter Zeit denke ich dabei häufig folgenden Gedanken: DIE JUGENDLICHEN TRAGEN HEUTZUTAGE ABER WIRKLICH HÄSSLICHE HOSEN. Mein nächster Geburtstag wird der 34. sein, das ist eigentlich kein Alter, zumindest ja unter 35 (das magische Alter, in dem wir im Literaturbetrieb zu Ancient Vampires transformieren). Wenn ich jetzt schon an dem Punkt bin, an dem ich kein Verständnis mehr für die modischen Experimente jüngerer Menschen (oder ihre Rebellion gegen erträgliche Formen) aufbringen kann, ist das wohl ein klarer Fall von Frühvergreisung.

Ich bin mittags mit dem Hund im Park, um mit ihm entspanntes Herumstehen zu üben, als ich im Augenwinkel eine Wolke aus ausgebeultem Jeanshosenstoff bemerke. Oh je, Jugendliche, denke ich, sie sind irgendwie laut. Wie soll ich denn hier entspannt herumstehen? Bevor ich es schaffe, mit dem Hund das Weite zu suchen, höre ich JACKE AUSZIEHEN, UND ZWAR SOFORT. Ich drehe mich um, obwohl ich mir sicher bin, dass diese harschen Worte nicht mir gelten. Unter die Jugendlichen haben sich zwei ältere Typen in Windbreakern, weißen Aldi-Sneakern und ja, ebenfalls hellen, völlig unförmigen Jeans gemischt, die ihre Arme auf eine Art vom Körper abstehen haben, die doch sehr aggressiv auf mich wirkt. Oh je, denke ich, jetzt stressen hier irgendwelche älteren Rave-Proleten aus den Neunzigern Jugendliche im Park an, was soll das?, und bleibe stehen, falls wir uns einmischen oder Hilfe holen müssen, der Hund und ich. Widerwillig reicht ein schlaksiger Junge mit Mittelscheitel einem der dubiosen Typen seine Daunenjacke (ebenfalls hässlich, wenn ihr mich fragt) und hebt die Arme, um sich von dem anderen abtasten zu lassen. Als dieser sich beim Abtasten ein wenig nach vorne beugen muss, sehe ich unter seinem beigen Windbreaker eine Pistole hervorblitzen. Oh je, denke ich, mit den Nerven bereits völlig am Ende, diese Typen sind also auch noch bewaffnet. Wahrscheinlich sollte ich irgendjemanden zur Hilfe rufen. HALT STILL JETZT, höre ich noch, und irgendwas mit DROGEN GEFUNDEN.

Tragen Zivilpolizisten eigentlich Waffen?, schreibe ich an M., während ich das Szenario beobachte und komme mir dabei unheimlich naiv vor. Ein langer Typ mit rotem Windbreaker steht mit seinem Rennrad einige Meter entfernt und behält die Situation ebenfalls im Auge. Naja, wenigstens gibt es noch mehr Zeugen, falls es zu Polizeigewalt kommt, denke ich. Einer der Jugendlichen versucht zu entkommen. HÖR JETZT AUF MIT DEM SCHEISS motzt der Typ auf dem Rennrad, und der Jugendliche kehrt zurück auf seinen Platz. Ach so, noch ein Zivilbulle. IHR KOMMT JETZT MIT AUF DIE WACHE, LOS ABMARSCH UND ZWAR GEORDNET, und dann ziehen sie von dannen. Ich versuche, noch ein Foto zu machen, so ganz unauffällig mit der Selfiekamera über die Schulter. Aus ein paar Metern Entfernung sind sie kaum noch voneinander zu unterscheiden, die Polizisten und die Jugendlichen.

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