Müll

Ich habe mich immer für eine aufmerksame Person mit einem Blick für Details gehalten und war manchmal entsetzt, wenn mir Leute erzählt haben, dass ihnen so etwas wie Street Art oder Sticker an Laternen oder ähnliches gar nicht auffällt. Wie gehen sie durch die Welt, habe ich mich gefragt, ist es nicht fast ein bisschen gefährlich, sich die Straße nicht so genau anzuschauen, wer nicht auf die kleinen Details achtet, der*die könnte doch genauso gut das Auto nicht sehen, das genauso unachtsam um die Ecke mit dem Grünpfeil flitzt! Seit ich meine Tage nach den unzähligen Gassirunden strukturiere, die ein drei Monate alter Welpe eben so braucht, habe ich festgestellt: Meine Aufmerksamkeit für kleine Dinge hat sich all die Jahre in Wahrheit auch nur auf die kleinen Dinge beschränkt, die sich ungefähr auf meiner Augenhöhe befinden. Was mir vorher nicht so richtig aufgefallen ist: Wie viel Müll tatsächlich auf der Straße liegt. Unsere Ausflüge zu dem, was die Fachliteratur über Hunde so unpoetisch als „Löseplatz“ bezeichnet, sind Gehirnjogging für uns beide. Was wir uns merken: Wo liegt welcher Unrat, den der Hund fressen und den ich ihn auf keinen Fall aus dem Rachen pulen will? Es braucht ungefähr drei Runden, bis ich verinnerlicht habe: Vor der 275 liegt eine FFP2-Maske, vor dem Glascontainer der Deckel eines Marmeladenglases, bei dem ersten Mülleimer am Spielplatz eine Packung Caprisonne samt großzügig verteilter leerer Getränkepäckchen, am zweiten Mülleimer der sterbliche Überrest eines KitKat Chunky, neben dem grünen VW-Bus, der als einziges Auto in der Straße nie bewegt wird, seit drei Wochen eine leere, hellgrüne Plastiktüte. Seit Mitte Dezember laufen wir einen Bogen um einen Scherbenhaufen vor der 277, der langsam schrumpft, aber noch immer nicht verschwunden ist. Vor dem Kellerfenster des Nachbarhauses liegt außerdem noch ein vom andauernden Regen völlig durchweichter Fahrradsattelschoner aus weißem Plüsch, den ich zuerst für ein totes Tier gehalten und den Hund so panisch davon weggezogen habe, dass es ein Wunder ist, dass er sich nicht stärker dafür interessiert, aber er hat wohl gerochen, dass es nur anorganisches Material ist. Für die zwei, drei Tage mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt in letzter Zeit war ich unendlich dankbar. Gefrorenes Laub ist für kleine Hunde interessanter als Müll.

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