Wissenschaftskommunikation 2020

Es ist einer dieser Tage, an denen ich mich über die Möglichkeiten, die diese Welt bereithält, einfach nur wundern kann: Ein Veranstaltungszentrum* in dieser Stadt, in dem sich die Mitarbeiter*innen sonst wohl hauptsächlich mit Warenwirtschaft, Programmgestaltung, Künstler*innen- und Gästebetreuung und sonstigem Gastro- und Veranstaltungsmanagement beschäftigen, tritt neuerdings auch als Expertise-Cluster zu den Themen Epidemiologie, Virologie und Medienanalyse auf. So weit, so trendy. Während sich jedoch die meisten Statements der Quereinsteiger*innen in diesen Themengebieten wohl online befinden, setzt dieses Cluster auf ein Medium, mit dem ich in der Grundschule zuletzt zu tun hatte: Die gute alte Wandzeitung (wir haben in der dritten Klasse mal eine über das Wattenmeer gemacht). An dem Bretterzaun vor der Halle hängen dicht gedrängte Cliprahmen, die eigentlich für Kino- und Konzertplakate gedacht sind. In den Rahmen befindet sich nun „die andere Meinung“** zu Corona mit catchy Headlines wie „Das ist keine moderate Kommunikation, die Politiker und Virologen so führen sollten“, „Es ist nunmal so, dass wir jedes Jahr durchschnittlich mehr Tote durch Grippe haben, als dies bis heute durch das Coronavirus der Fall ist“ und „In die Augen sticht die Linientreue der Meinungsbildenden Medien“. Auf den Plakaten befinden sich QR-Codes, die mal aufs Ärzteblatt, mal auf Querfront-/Fake-News-Seiten wie Rubikon verlinken. Ich muss an den schönen Satz denken, den Christian Drosten einmal im Coronavirus-Update (Folge 40) gesagt hat: „Ich bin Virologe, ich würde mich niemals öffentlich zu Bakterien äußern!“ Der Cliprahmen, in dem sich das Editorial für diese Zeitung befindet, wirbt damit, dass man hier auch eigene Texte veröffentlichen kann, an genau dieser Wand, und ich denke darüber nach, ihm vielleicht das Transkript zu dieser Podcastfolge zu schicken. Allerdings finde ich nirgends eine Adresse, unter der man dort vielleicht Texte einreichen könnte, und es wird ein Unkostenbeitrag von 20€ für die Veröffentlichung erhoben. Ich hoffe, dass sie dieses Geld vielleicht in Gestaltung und Lektorat investieren, denn nichts von beidem hat bisher Einzug in dieses ambitionierte Medienprojekt gefunden.

Ich bin mit dem Hund von einer Freundin da, der es vor der Plakatwand nur mäßig spannend findet und bald weiter will (seine Hundespurenzeitung ist vermutlich auch deutlich spannender und weniger ärgerlich als das Exemplar an dem Holzbretterzaun). Von der Wandzeitung wusste ich schon etwas länger und habe mich gewundert, dass die sozialen Medien noch nicht voll sind mit kopfschüttelnden Beiträgen zu diesen Plakaten, also musste ich sie mir selbst anschauen gehen. Es ist früher Nachmittag, und ich bin die einzige Fußgängerin in dieser Straße. Dafür donnern diverse Transport- und Baufahrzeuge an mir vorbei, niemand, der stehenbleiben und diese wirren Texte lesen würde. Allerdings beklagen die Urheber dieser Zeitung auch den Mangel an Gästen (Schuld ist u.a. die „umstrittene Maskenpflicht“), also haben möglicherweise noch gar nicht so viele Menschen dieses Zeugnis von informativer Selbstüberschätzung gesehen.

*ich verlinke diesen Laden extra nicht – wer so viel Energie in analoge Außenkommunikation investiert, ist auf digitalen Traffic sicher gar nicht angewiesen.

**ich fände es übrigens gar nicht so falsch, „anderen Meinungen“ zur Krise mehr Platz einzuräumen, aber ich meine damit eher „Expert*innen“, die keine weißen cis Männer sind. Außerdem sehe hier Chancen, sich als Leidtragende mit anderen zu solidarisieren, die bei der Krise noch viel stärker hintenüber fallen – (alleinerziehende) Mütter, Kinder, Geflüchtete oder Obdachlose, die sich auf der Straße oder in Lagern keineswegs isolieren können z.B., – vor allem, wenn man sich auf die Fahnen (bzw. auf die zusammengeklebten Druckerpapierseiten) schreibt, man sei als Branche „gewissermaßen systemrelevant für die Erhaltung der Liebe in der Gesellschaft“ (Das steht da wirklich, so etwas würde ich mir nicht einmal unter dem schlimmsten Antragsprosa-Erschaffungsdruck ausdenken).

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