Der letzte 23. Dezember der Dekade

Die Farben auf der Bahnstrecke zwischen Kiel und Hamburg haben denselben Grauanteil wie immer. Im Abteil riecht es nach einer Mischung aus Schweiß und alten Socken. Die Frau in der Reihe vor mir hat ihre Bahncard vergessen, was nun einen erheblichen Verwaltungs- und Geldaufwand mit sich bringt. „Wir sind in Deutschland“, entschuldigt sich der Schaffner mit einem gequälten Lächeln.

Umsteigen am Hamburger Hauptbahnhof ist schwer für Menschen mit dem Problem, die Spur nicht halten zu können (also für mich). Mein Gepäck ist zu groß und ich bin zu klein und zu verwirrt, obwohl ich diesen Ort schon mein ganzes Leben kenne. Die Accessorize-Filiale in der Wandelhalle heißt offenbar jetzt Accessorio, aber vielleicht habe ich mich auch immer nur verlesen.

Am Buchholzer Bahnhof empfängt mich meine Mutter mit dramatischer Miene. „Wir müssen noch ins Futterhaus“, sagt sie. „Aber vielleicht ist es da auch ganz gut für Leute, die schreiben.“ Ich behaupte, dass es so schlimm ja nicht werden kann und bin dann aber doch entsetzt: Das Futterhaus hat seine Kleintierabteilung abgeschafft. Keine Zwergkaninchen, Hamster und auch keine Vogelspinnen mehr (obwohl man die natürlich auch nicht in Läden kaufen können sollte). Dafür gibt es getrocknete Straußenhälse für 12 Euro das Stück und Conditioner für langfellige Hunde.

Ich habe nicht darauf geachtet, welche Weihnachtsbeleuchtung jetzt in dem Dorf hängt, in dem ich aufgewachsen bin. Zu abgelenkt war ich von den neuen Häusern in unserer Straße. Es gab da mal ein Holzhäuschen, das jetzt abgerissen wurde. Auf dem ehemaligen Waldgrundstück stehen jetzt zwei relativ hässliche Bungalows. Ich wusste nicht, dass hinter dem alten Holzhäuschen noch Platz für ein zweites gewesen wäre. Liege nun auf dem Sofa und höre Forschung Aktuell bei Deutschlandfunk. Wissenschaftler haben mit Kryotechnik ein paar Legosteine und auch eine Legofigur eingefroren und dabei rausgefunden: Das Material ist extrem kältebeständig. Wer hätte das gedacht? Außerdem hat ein Historiker die Todesdaten aller römischen Kaiser ausgewertet und herausgefunden, dass sie direkt zum Beginn ihrer Amtszeit und dann noch einmal nach einer recht langen Zeitspanne ziemlich gefährdet waren, eines gewaltsamen Todes zu sterben. Kann jetzt endlich die Struggles überprivilegierter Menschen viel besser nachvollziehen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s